17.
Lektion - lectio septima decima (septemdecim 17)Allmählich treten wir ins Reich der lateinischen Poesie ein. Wir haben bei Catull schon eine Menge gelernt, heute soll uns Martial u.a. als erneuter Einstieg in die Metrik dienen (Sie erinnern sich an das Martial-Gedicht auf das Hündchen Issa, das wir in der 14. Lektion kennen lernten?)
In der nächsten Lektion werden wir mehr von und über Martial hören, dann aber wenden wir uns Ovid zu, einem der ganz großen Lateinischer Zunge. Bei Ovid üben wir uns erneut in Metrik -und bald schon werden wir völlig frei in den metrischen Gewässern schwimmen.
Beginnen wir mit einem Martialschen Zweizeiler, der all denen von Nutzen sein wird, die sich öfter genötigt sehen, sich von einem nicht mehr geliebten Partner trennen zu müssen. Beachten Sie, daß der Name Sabidius nur ein Platzhalter ist und beliebig ausgetauscht werden kann:
nôn amo tê, Sabidî, nec possum dîcere quârê.
Hoc tantum possum dîcere: nôn amo tê.
Sabidî
ist Vokativ von Sabidius; nec = et nôn; quârê warum?; hoc tantum (Akk.) nur dies.Das Versmaß, das Martial in etwa 70% seiner Gedichte benutzte, ist das sogenannte elegische Distichon, vgl. 5. und 13. Lektion. Die Bezeichnung elegisch entspricht allerdings i.a. nicht dem, was wir im Deutschen darunter verstehen, nämlich eine durchgehend traurige Stimmung; am besten reden wir nur von Distichen (auch Disticha).
Ob Elegien ursprünglich Klagelieder waren, ist keineswegs gesichert. Für uns soll eine antike Elegie einfach ein Gedicht sein, das aus Distichen besteht. Das soll jedoch nicht heißen, daß Elegien nicht auch Klagelieder sein können, wir haben sogar ein derartiges Gedicht bereits besprochen: Catulls Carmen 101, das Klagelied auf seinen Bruder. Es ist eine Elegie, die aus 5 Distichen besteht.
Die Gedichte in den fünf Büchern Tristia (Klagelieder) des Ovid (43 v.Chr.-17/18 n.Chr.) sind ebenfalls echte Elegien, d.h. Distichen mit trauriger Stimmung. Er schrieb sie am Ort seiner Verbannung in der Hoffnung, Augustus werde ihn wieder zurückrufen. Augustus zeigte sich aber gar nicht milde, und Ovid blieb nichts anderes übrig, als in Tomi am Schwarzen Meer auszuharren und schließlich auch zu sterben.
Wir werden jetzt zuerst ein wenig Metrik treiben, dann geht es weiter mit unserem Distichon.
Kleiner Abstecher in die Metrik (Hexameter)
Es handelt sich beim Distichon, wie wir bereits wissen, um ein Verspaar, bei dem der erste Vers ein Hexameter und der zweite ein Pentameter ist.
Der Hexameter besteht aus 6 Versfüßen, und zwar normalerweise aus 5 Daktylen (¾ È È ) und einem Trochäus (¾ È ), vgl. 12. Lektion. Ein bekanntes Beispiel ist der Vers:
ut dêsint vîrês, tamen est laudanda voluntâs. Wenn auch die Kräfte fehlen, (so) ist dennoch der (gute) Wille zu loben.
Das Hexameter-Schema sollte so aussehen:
Hexameter |
Wenn wir uns den zitierten Vers genauer anschauen, sehen wir, daß die Wirklichkeit anders ausschaut:
ut de |
sint vi- |
res ta-men |
est lau- |
dan-da vo- |
lun- tas |
¾ ¾ |
¾ ¾ |
¾ È È |
¾ ¾ |
¾ È È |
¾ ¾ |
Spondeus |
Spondeus |
Daktylus |
Spondeus |
Daktylus |
Spondeus |
Offenbar konnte der lateinische Autor ohne weiteres zwei kurze Silben durch eine lange ersetzen. Beim Hexameter ist das aber i.a. nur in den ersten vier Versfüßen erlaubt, der fünfte sollte immer ein Daktylus sein. Da bei allen lateinischen Versen die letzte Silbe lang oder kurz sein kann, ist es nicht erstaunlich, daß wir in unserem Beispiel als letzten Fuß keinen Trochäus, sondern einen Spondeus haben.
Wieso aber ist ut eine lange Silbe? Da ut zweifellos kein naturlanges u besitzt, kann es sich nur um eine positionslange Silbe handeln. Sie wissen, eine Silbe ist durch Position lang, wenn auf ihren Vokal mehrere Konsonanten folgen, dabei ist es nicht nötig, daß die Konsonanten demselben Wort angehören. Auch ein x "macht Position", denn es ist der Doppelkonsonant ks.
Zurück zum ut: hinter dem u von ut stehen tatsächlich zwei Konsonanten: t und d.
Dasselbe Argument gilt für sint, est, dan und lun; alle diese Silben sind positionslang.
Die Silbe lau ist lang, weil ein Diphthong immer als lang gilt.
Bevor wir einen Hexameter lesen können, müssen wir zunächst seine Struktur erschließen. Dabei ist hilfreich, zu beachten, daß die erste, die fünfletzte und die vorletzte Silbe immer betont sein müssen: ut, dan und lun tragen demnach den Ton, den Iktus. Die restlichen Betonungen entnehmen wir der Strukuranalyse. Die Bestimmung der Quantitäten nennt man auch skandieren.
(Der Iktus, also der Ton, liegt immer auf der langen Silbe des Versfußes. Im Spondeus haben wir zwei lange Silben, von denen eine durch Kontraktion zweier kurzer Silben entstanden ist. Der Ton liegt hier auf der nicht durch Kontraktion enstandenen Silbe.)
Wir lesen den Vers demnach gemäß der folgenden mit Fettschrift markierten Tonverteilung :
ut dêsint vîrês,|| tamen est laudanda voluntâs
Sie dürfen nun aber est nicht mit einem gedehnten e-Laut aussprechen, denn die Aussprache des Vokals einer positionslangen Silbe ist kurz, wenn er nicht von Natur aus lang ist. Außerdem bedeutet êst -mit naturlangem ê- nicht er ist, sondern er ißt.
Dasselbe gilt entsprechend für die Vokale in den Silben ut, sint, dan und lun, die nur durch Positition lang sind. Die Silben tragen den Ton, ihre Vokale werden aber nicht lang ausgesprochen. Wir haben nur vier kurze Silben: ta, men, da, vo.
(Vielleicht wollen Sie sich merken, daß eine Zäsur nach der dritten Hebung -nach dem "fünften halben Teil"- Penthemimeres genannt wird.)
Beim Lesen merken Sie sicherlich, daß Sie hinter vîrês, also hinter der dritten Hebung (Arsis) automatisch eine Pause machen. Den Einschnitt, den Sie mit dieser Pause erzeugen, nennt man Cäsur (auch Zäsur). Meist wird sie mit || gekennzeichnet.
Wenn die Cäsur zwischen zwei Versfüßen steht, nennt man sie auch Diärese oder Diäresis, griechisch: diairein = trennen. Eine Caesur zerschlägt immer einen Versfuß, -so wie Caesar ganze Völker zerschlug.
Man mag zunächst gar nicht glauben, daß man jemals in der Lage sein wird, ein ganzes hexametrisches Gedicht in endlicher Zeit lesen zu lernen. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß dies nach einiger Übung fast problemlos funktioniert. Also keine bösen Gefühle gegen den Hexameter entwicklen! Merken wir uns auch noch, daß die betonte Silbe Hebung oder Arsis, die unbetonte dagegen Senkung oder Thesis heißt. Die Griechen bezeichneten mit Arsis und Thesis das Anheben und Absetzen des Taktinstruments, z.B. des Fußes.
Am besten beginnen Sie bei der Analyse zunächst mit der Suche nach positionslangen Silben, dann bestimmen Sie die naturlangen (eventuell mit einem Wörterbuch). Leider gibt es nur wenige Regeln, mit denen man sicher die Quantität einer Binnensilbe bestimmen kann.
Für die Endsilben gibt es einige feste Regeln. Z.B. sind Endsilben, die auf einen einfachen Konsonanten -außer s- ausgehen, i.a. kurz, z.B. die auf m, r ,t ausgehenden Endsilben in in nautam, puer, amat usw. (Aber es gibt Ausnahmen: impâr, dispâr usw. Es handelt sich oft um Wörter aus der griechischen Sprache auf -êr: aêr, aethêr, cratêr.)
Die Endungen âs, ês, ôs sind lang, ebenso îs im Plural der Deklinationen und in der 4. Konjugation: audîs du hörst, sîs du seist, vîs du willst.
Vokalisch auslautende Endungen sind immer lang bei:
a im Abl. Sing. der 1. Dekl.und im Imperativ der 1. Konjugation
e im Abl. Sing. der 5. Dekl., im Imperativ der 2. Konjugation und den meisten Adverbien auf e
i im Gen. Sing. und Vokativ Pl. der 2. Dekl.
o im Dat. und Abl. Sing. der 2. Dekl.
u ist im Auslaut stets lang.
Das a der Neutra im Nom., Akk., Vok. ist immer kurz, ebenso der Abl. Sing. der 3. Dekl. auf e, z.B. nômine durch den Namen.
Einige Sonderfälle sollten wir uns auch noch merken, z.B. ist kurz
das
Erinnern Sie sich noch, daß es eine Elision gibt? Lesen Sie notfalls nochmals in der 13. Lektion nach. Es geht darum, daß dann, wenn zwei Vokale am Ende und am Anfang zweier Wörter aufeinanderstoßen, der erste Vokal nicht gelesen wird: er wird elidiert (außer, wenn das zweite Wort es oder est ist, dann wird das e von es bzw. est elidiert). Steht vor dem zweiten Vokal ein h, tritt ebenfalls Elision ein, d.h. der erste Vokal wird nicht gesprochen -für die Metrik ist er ebenso wenig vorhanden wie das h.
Geht das erste Wort auf Vokal + m aus, und beginnt das zweite mit Vokal oder h, so werden Vokal und m des ersten Wortes elidiert.
Erwähnen möchte ich noch, daß klassische lateinische Verse keinen Endreim haben.
Zurück zu Martial!
Mit dem eben erworbenen metrischen Wissen, können wir die erste Zeile unseres Distichons skandieren:
nôn a-mo | tê, Sa-bi- |dî,|| nec | pos-sum | dî-ce-re | quâ-rê.
1. Fuß: nôn a-mo = ¾ È È = Daktylus, das Schluß-o in amo wurde gekürzt
2. Fuß: tê Sa-bi- = ¾ È È = Daktylus
3. Fuß: dî nec = ¾ ¾ = Spondeus, nec ist positionslang, da auf e zwei Konsonanten folgen
4. Fuß: pos-sum = ¾ ¾ = Spondeus, pos und sum sind beide positionslang ( o vor ss, u vor m, d)
5. Fuß: dî-ce-re = ¾ È È = Daktylus
6. Fuß: quâ-rê = ¾ ¾ = Spondeus
Nach der dritten Hebung gibt es eine Cäsur.
Jetzt schauen wir uns die zweite Zeile des Distichons an. Oben sagte ich Ihnen, daß es sich um einen Pentameter (Fünfmaß) handelt. Er entsteht durch Verdopplung der ersten Hälfte (sog. Hemiepes) des Hexameters (dabei ergeben sich rechnerisch 2 mal 2 1/2 = 5 Daktylen):
Pentameter: |
Die letzte Silbe kann auch kurz sein, vgl. Grammatik-Übungen 1. Zeile. Bemerkenswert ist die Aufeinanderfolge zweier Hebungen in der Mitte des Pentameters. Auf der letzten Silbe steht immer ein Iktus, auch wenn sie kurz ist.
Übrigens wird der Pentameter nie für sich allein benutzt, ihm geht immer ein Hexameter voraus.
Im zweiten Hemiepes darf kein Spondeus (¾ ¾ ) vorkommen, Cäsur liegt normalerweise nach dem ersten Hemiepes, also wieder nach der dritten Hebung. Da hier kein Versfuß zertrennt wird, sprechen wir besser von Diärese.
Wenn wir unseren Pentameter von rechts her untersuchen, sehen wir, daß auf die lange Silbe tê zwei Daktylen folgen. Gleich nach der Diärese folgt das positionslange sum. Dann folgen zwei Spondeen mit lauter positionslangen Silben.
Hoc tan-| tum pos-| sum || dî-ce-re:| nôn a-mo | tê.
Die Dichter haben sich i.a. darum bemüht, daß das Ende des Pentameters, d.h. das Ende des Distichons, auch Ende des Hauptsatzes ist. In einer Elegie kann es jedoch vorkommen, daß sich ein Satz über mehrere Distichen erstreckt. In unserem Distichon bilden sogar Hexameter und Pentameter jeder für sich einen abgeschlossenen Satz.
In der folgenden Lektion sage ich Ihnen etwas zu Martial, heute erzähle ich Ihnen noch eine kleine Story zum besprochenen Distichon. Thomas Brown (1663-1704) ging seinen Lehrern in Oxford derart auf die Nerven, daß man eine Möglichkeit suchte, ihn vom College zu weisen. Der Dean des Colleges, Dr. Fell, wollte ihm eine letzte Chance geben und legte ihm Martials Distichon zur Übersetzung vor. Hier ist Browns Arbeit:
I do not love thee, Dr. Fell,
The reason why I cannot tell;
But this I know, and know full well,
I do not love thee, Dr. Fell.
Thomas Brown hatte also erkannt, daß man Sabidi gegen einen anderen Namen austauschen konnte; aber nicht nur das, er hatte als Zugabe den Endreim hinzugefügt!
Zahlen, Datums- und Zeitangaben
Zunächst eine Zusammenstellung der Zahlen bis 10:
|
Kardinalzahlen |
Ordinalzahlen |
Distributivzahlen |
1 |
ûnus, a, um ein(er, e, es) |
prîmus, a, um der erste |
singulî, ae, a je ein |
2 |
duo, duae, duo |
secundus od. alter |
bînî, ae, a je zwei |
3 |
três, três, tria |
tertius |
ternî je drei |
4 |
quattuor |
quârtus |
quaternî |
5 |
quînque |
quîntus |
quînî |
6 |
sex |
sextus |
sênî |
7 |
septem |
septimus |
septênî |
8 |
octô |
octâvus |
octônî |
9 |
novem |
nônus |
novênî |
10 |
decem |
decimus |
dênî |
In der folgenden Passage aus Colloquia familiaria läßt Erasmus den Eusebius fragen: Ekelt dich die Vielweiberei denn nicht? Non taedet polygamiae? Und Polygamus antwortet:
Adeo taedet, ut si haec octâva moreretur hodiê, perendiê ducerem nônam. Immô hoc me male habet, quod non liceat habere bînâs, aut ternâs, quum (cum) ûnus gallus gallinaceus tot gallinas possideat.
Das ekelt so sehr, daß, wenn diese achte heute stürbe, ich übermorgen die neunte heiraten würde. Das finde ich sogar schade, daß man nicht jeweils zwei oder drei haben darf, da doch ein Hühnerhahn soviele Hühner besitzt.
Der geborene Ehemann läßt uns hier hübsch teilhaben an den drei Zahlsorten.
Für die Anwendung bei Datums- und Zeitangaben sind allerdings fast ausschließlich die Ordnungszahlen (ôrdinâlia) im Einsatz, wie wir gleich sehen werden.
Das folgende Beispiel enthält zwar ein Datum, aber die Uhrzeit ist zunächst nicht gegeben:
...
mênsis erat Octôber, diês III. Îdûs Octôbris. hôram nôn possum certam tibi dîcere.Der Monat war der Oktober, und zwar der 13. Oktober, die Stunde kann ich dir nicht genau sagen.
Wann wirst du kommen? Ich werde um 16 Uhr kommen.
Quandô veniês? Decimâ hôrâ veniam.
Um wieviel Uhr nimmst du das Frühstück? Um acht Uhr oder bald darauf (mox deinde)
Quotâ hôrâ ientâculum sûmis? Hôrâ octâvâ aut mox deinde ientâculum sûmô.
Caesar wurde am 15. März getötet.
Caesar Îdibus Mârtiîs necatus est.
Der Monatsanfang hieß
Kalendae, Îdûs, uum f war Monatsmitte.Beispiele:
mênse Aprîlî (Septembrî, Iânuâriô)
im Monat April (September, Januar)Die heidnischen Römer konnten mit der Angabe a.Chr.n. oder p.Chr.n. aus begreiflichem Grund natürlich nichts anfangen; in späteren Jahrhunderten nach Christi Geburt wurde das natürlich anders. Die Römer bezogen ihre Jahre auf das akzeptierte Gründungsjahr Roms, ab urbe conditâ, 753 v.Chr., oder häufiger auf die Amtszeit der Konsuln (als Abl. absolutus), z.B. L. Pisône A. Gabiniô consulibus (58 v.Chr.).
Dennoch wollen Sie natürlich wissen, wie die Abkürzungen a.Chr.n. und p.Chr.n. zu lesen sind. Sie bedeuten ante Chrîstum nâtum und post Chrîstum nâtum. Man setzt diese Bezugspunkte nicht ans Ende der Zeitangabe, sondern -wie schon oben bemerkt- dazwischen. Z.B. wurden die Legionen des Varus im Jahre 9 nach Christi Geburt im Teutoburger Wald geschlagen: Legiônês Varî annô post Chrîstum nâtum nônô superatae sunt, oder kürzer: legiônês Varî annô p.Chr.n. nônô superatae sunt. Die Zeitangabe selbst steht wieder im Ablativus temporis.
(Wissen Sie noch, was Augustus in der 3. Lektion zur Niederlage des Varus sagte? Vare, redde mihi legiones! Varus, gib mir die Legionen zurück! Vermutlich sprechen wir als Folge dieser römischen Niederlage in Deutschland nicht auch romanisch.)
Wenn Sie ein Datum mit dem Bezugspunkt a.u.c. (ab urbe conditâ), z.B. a.u.c. 25, in ein "christliches" Datum umwandeln wollen, so müssen Sie bedenken, daß die Römer Anfangs- und Endpunkt mitrechneten. D.h. a.u.c. 25 war 24 Jahre nach der Gründung Roms, also 729 v.Chr. Man kann auch einfach 754 als Bezug nehmen und subtrahiert davon die a.u.c.-Zahl.
Demnach wäre a.u.c.14 dasselbe Datum wie (754-14) v.Chr. = 740 v.Chr.
Noch ein Beispiel:
Hannibal starb im Jahr 571 nach Gründung der Stadt. In welchem Jahr v.Chr. war das?
Das war (754-571) v.Chr. = 183 v.Chr. Und wie sagt man das auf Lateinisch?
annô a.u.c. quîngentêsimô septuâgêsimô prîmô Hannibal mortuus est.
(In den Übungen finden Sie denselben Inhalt mit "christlichem" Bezug!)
Ein wichtige Sache ist natürlich die Altersangabe.
Sie müssen sich merken, daß wie alt? mit quot annôs nâtus? wiedergegeben wird. Die Zeitangabe selbst steht dann i.a. als Grundzahl im Akkusativ. (Es kann auch agere mit einer Ordnungszahl stehen, oder man benutzt den Genitivus qualitatis.)
Da auf quot wie viele? eine Grundzahl folgt, steht für das Alter ebenfalls eine Grundzahl.
nâtus + Akk. bedeutet einfach alt.
Beispiele:
quot annôs es nâtus?
wie alt bist du? annôs vîgintî duôs nâtus sum ich bin 22 Jahre altBeispiele:
am 1. März: Kalendîs Mârtiîs (Kal. Mârt.) (Ablativ)
am 7. März: Nônîs Mârtiîs (Nôn. Mârt.)
am 15. März: Îdibus Mârtiîs (Îd. Mârt.)
am 6. März: prîdiê Nônâs Mârtiâs (prîd. Nôn. Mârt.)
am 5. März: ante diem tertium Nônâs Mârtiâs (a.d.III.Nôn.Mârt.)
(Man könnte, wenn auch nicht sehr üblich, den Abl. temporis benutzen: tertiô diê ante Nônâs Mârtiâs, oder man läßt diê ante einfach weg: tertiô Nônâs Mârtiâs. Die Zahl III ergibt sich, weil man bei der Zählung bei den Nonen beginnen und bei 5 aufhören muß: 7,6,5.
Die Form ante diem wird von Cicero und Livius oft als ein undeklinierbarer Ausdruck zusammen mit Präpositionen benutzt. So würde usque ad a.d. III. Mârt. bedeuten bis zum 5. März.)
Was hier für den Mârtius gesagt wurde, gilt auch für Mâius, Iûlius und Octôber. Z.B.
am 4. Mai: ante diem quârtum Nônâs Mâiâs (a.d. IV. Nôn.Mâi.)
am 31. März: prîdiê Kalendâs Aprîlês (prîd.Kal.Apr.)
Alle Tage vom 30. März bis zum 16. März sind alle a.d. (Zahl von III-XVII) Kalendâs Aprîlês
Z.B.: am 24. März: ante diem nônum Kalendâs Aprîlês (a.d. IX. Kal.Apr.)
Vermutlich werden Sie nicht sehr häufig derartige Datumsumwandlungen vornehmen müssen. Wenn ein Historiker bei seiner Arbeit oft derartige Rechnungen ausführen muß, so kann er Tabellen oder einen Algorithmus (also ein Rezept) benutzen, etwa den folgenden:
Beispiele:
a.d. VIII. Kal. Mâi. > 2 + 30 - 8 = 24. April (!) (Der vorhergehende Monat ist April mit 30 Tagen.)
a.d. XI. Kal. Mârt. > 2 + 28 - 11 = 19. Februar (Der vorhergehende Monat ist Februar mit 28 Tagen. Ein Schalttag wurde nach dem 24. Februar eingeschoben. Er hieß a.d. bis Kal. Mârt. Im Französischen heißt das Schaltjahr daher année bissextile.)
Will man umgekehrt unser Datum in ein römisches umrechnen, so vermindert man unser Datum um 1 und subtrahiert die sich dabei ergebende Zahl von der Nonen (Iden)-Zahl oder von der um 1 erhöhten Zahl der Tage des Monats:
Beispiele:
am 4. Mai: 7 - 3 = 4, also a.d. IV. Nôn. Mâi.
am 12. Mai: 15 - 11 = 4, also a.d. IV. Îd. Mâi.
am 22. Mai: 32 - 21 = 11, also a.d. XI. Kal. Iûn.
Sie sehen, wie faszinierend das Ganze ist, man kann daraus ein erbauliches Spiel für die ganze Familie an trostlosen Regentagen entwickeln.
Zum Abschluß dieser Erklärungen will ich noch etwas zum römischen Kalender überhaupt sagen. Da war zuerst Romulus, der einen Kalender mit 10 Monaten einführte, der mit Martius begann (Mars war ja der Vater des Romulus, Vgl. 3.Lektion). Numa Pompilius hat dann Iânuârius und Februârius hinzugenommen. Alle Monate orientierten sich am Mondzyklus (der Name mênsis erinnert daran), so daß ein Jahr 355 Tage hatte. Im Laufe der Jahrhunderte ergaben sich gewaltige Abweichungen vom Sonnenjahr. Erst Caesar stellte 45 v.Chr. diesen 12 Monate-Kalender auf das Sonnenjahr (Jahreszeiten!) mit 365 1/4 Tagen um. Alle vier Jahre wurde ein Tag eingeschaltet.
Aber auch diese Reform war noch nicht genau genug. 1582 n.Chr. hat Papst Gregor eine weitere Reform durchgeführt, die vorläufig noch benutzt wird.
Noch einige Angaben zu den Namen der Monate: Der Iânuârius wurde nach dem Gott des Eingangs und Ausgangs benannt: Iânus. Der Februar geht zurück auf den Plural Februa, welches ein Reinigungsfest war (der Singular februum, î n ist das Reinigungsmittel). Der Name Aprîlis ist etruskischen Ursprungs; Mâia war die Mutter des Merkur, usw.
(Über Kalenderfragen können Sie sich bestens in dem internationalen Bestseller von David Ewing Duncan, Calender, informieren. Dort werden Sie u.a. erfahren, daß Kalenderreformen niemals Einmann-Projekte waren.)
Nun noch einige Worte zu den Wochentagen.
Die Einteilung des Monats in Wochen mit je sieben Tagen war bei den alten Römern nicht üblich, obgleich der Sieben-Tage-Zyklus uralt war und bereits von den Babyloniern benutzt wurde. Im Laufe der Zeit aber wurde die baylonische Woche auch in Rom benutzt und von Konstantin d.Gr. im Jahr 321 n.Chr. offiziell eingeführt.
Der erste Wochentag hieß
diês Sôlis, Tag der Sonne (sôl).
Dann folgten:
diês Lûnae Tag des Mondes (lûna Mond)
diês Martis Tag des Kriegsgottes Mars
diês Mercurî Tag des Götterboten Mercurius
diês Iovis Tag Jupiters (oberster Gott)
diês Veneris Tag der Liebesgöttin Venus
diês Sâturnî Tag des Saturn, Vater Jupiters
Die romanischen Sprachen haben diese Bezeichnungen mit geringen Änderungen bewahrt, die nordischen Sprachen haben die römischen Götter durch deren germanische Äquivalente ersetzt.
(Der germanische Kriegsgott Tyr hatte den Beinamen Thingsus > Dienstag. Der Donnerstag geht auf Donar -Thor- zurück, den Donnergott, usw.)
Versuchen Sie zu übersetzen (und zu skandieren)
Übungen zur Einleitung (Metrik):
Nun noch ein paar Übungen zu den Zeitangaben:
Lösungen:
Do- nec e- |
ris fe- |
lix mul- |
tos nu-me- |
ra- bis a- |
mi- cos |
¾ È È |
¾ ¾ |
¾ ¾ |
¾ È È |
¾ È È |
¾ ¾ |
Daktylus |
Spondeus |
Spondeus |
Daktylus |
Daktylus |
Spondeus |
Pentameter:
tem-po-ra |
si fu- e- |
rint |
nu -bi - la |
so- lus e- |
ris |
¾ È È |
¾ È È |
¾ |
¾ È È |
¾ È È |
È |
Daktylus |
Daktylus |
|
Daktylus |
Daktylus |
|
Wie Sie sehen, ist der Pentameter perfekt konstruiert, denn er folgt genau dem Schema:
Pentameter:
¾ È È | ¾ È È | ¾ || ¾ È È | ¾ È È | ¾ (È )
Die hier gegebene Strukturanalyse ist natürlich recht aufwendig; wenn keine besonderen Schwierigkeiten vorliegen, kann man auch einfach die Silben, die den Ton tragen, fettdrucken und die Versfüße mit | abtrennen:
Donec e|ris fe|lix, || mul|tos nume|rabis a|micos;
Tempora|si fue|rint || nubila,|solus e|ris.
Hexameter:
Nil ni- mi- |
um stu-de- |
o , Cae- |
sar, ti- bi |
vel- le pla- |
ce - re |
¾ È È |
¾ È È |
¾ ¾ |
¾ È È |
¾ È È |
¾ È |
Daktylus |
Daktylus |
Spondeus |
Daktylus |
Daktylus |
Trochäus |
Pentameter:
nec scir(e)- |
u - trum |
sis |
al- bus, an |
a- ter ho- |
mo |
¾ ¾ |
¾ ¾ |
¾ |
¾ È È |
¾ È È |
¾ |
Spondeus |
Spondeus |
|
Daktylus |
Daktylus |
|
Hier noch die vereinfachte Analyse mit besonderer Kennzeichnung der positionslangen Silben:
Nïl nimi|üm stude|ô,|| Cae|sär, tibi| vëlle pla|cêre,
nëc scîr(e) | ütrum | sîs || älbus an | âter ho|mô.
Das Trema ( ¨ ) über einem Vokal zeigt bei uns Positionslänge der zugehörigen Silbe an. Beachten Sie auch die Elision bei scîre utrum. Wir lesen: skîrûtrum.
Die erste Silbe in utrum ist positionslang. Merken Sie sich aber bitte, daß ein Vokal vor tr nicht unbedingt eine positionslange Silbe erzeugt.
Diese Feststellung gilt immer dann, wenn der Vokal vor einem Mutum + Liquidum steht, also bei Vokal vor einem p-, k- oder t-Laut, der selbst vor l oder r steht: (p,k,t) + (l,r).
Beispiele: patris, duplico, volucris, tenebrae usw. In diesen Fällen können die Silben pa, du,
lu, ne lang oder kurz gewählt werden. (Natürlich bleibt der ursprünglich lange Vokal in mâter auch im Genitiv mâtris lang.)
Zeitangaben
Caesar holt sich schleunigst noch fünf Legionen aus Oberitalien. Titus Labienus bleibt unterdessen als sein Stellvertreter bei den Befestigungsanlagen.
Drei der fünf Legionen, die 7., 8. und 9., brauchte er nicht neu auszuheben, die befanden sich schon lange in Aquileja, in der Nähe des heutigen Venedig. Die beiden neuen Legionen, von deren Aushebung der Senat nichts wußte, bildeten die 11. und die 12. Seine Lieblingstruppe, die 10. Legion, war ja bereits bei ihm in der Schweiz.
Zum Kampf mit den Helvetiern verfügt er demnach über 6 Legionen, also rund 25 000 Soldaten, -Reiterei und Hilfstruppen garnicht mitgerechnet. Caesar findet die Mühen einer in höchster Eile durchgeführten Alpenüberquerung nicht der Rede wert. Er erwähnt nur die Kämpfe mit drei Bergvölkern, die seinen fünf Legionen den Durchzug verweigern wollten.
BG I, 10,1-5
1. |
Caesari renûntiâtur Helvetiîs esse in animo per agrum Sequanorum et Aeduorum iter in Santonum fines facere, qui non longê a Tolosâtium fînibus absunt, quae cîvitâs est in prôvinciâ. |
2. |
Id sî fieret, intellegebat magnô cum periculô prôvinciae futûrum, ut hominês bellicôsôs, populî Rômânî inimîcôs locîs patentibus maximêque frûmentâriîs fînitimôs habêret. |
3. |
Ob eâs causâs ei munitiôni, quam fêcerat, T. Labiênum legâtum praefêcit; ipse in Italiam magnîs itineribus contendit duâsque ibi legiônês cônscrîbit et três, quae circum Aquilêiam hiemâbant ex hibernîs edûcit et, quâ proximum iter in ulteriôrem Galliam per Alpês erat, cum hîs quînque legiônibus îre contendit. |
4. |
Ibi Ceutrônês et Grâiocelî et Caturîgês locîs superiôribus occupâtîs itinere exercitum prohibêre cônantur. |
5. |
Complûribus hîs proeliîs pulsîs ab Ocelo, quod est citeriôris provinciae extrêmum, in fînês Vocontiôrum ulteriôris provinciae diê septimô pervenit, inde in Allobrogum fînês, ab Allobrogibus in Segusiâvôs exercitum dûcit. |
wörtliche Übersetzung
1. |
Dem Caesar wird (zurück)gemeldet, den Helvetiern sei im Sinne durch den Acker der Sequaner und Häduer den Weg in der Santoner Gebiet zu machen, die nicht weit von der Tolosaten Gebiet entfernt sind, welcher Staat ist in der Provinz. |
2. |
Dies wenn geschähe, er erkannte, großer mit Gefahr für die Provinz geschehen werde, daß Menschen kriegerische, des Volkes römischen Feinde, in Gegenden offenen und sehr getreidereichen als Grenznachbarn sie hätte. |
3. |
Wegen dieser Gründe derjenigen Befestigung, die er gemacht hatte, Titus Labienus den Legaten er setzt vor; er selbst nach Italien in großen Märschen eilt und zwei dort Legionen er hebt aus und drei, die um Aquileja überwintern, aus den Winterquartieren er führt heraus und, wo der nächste Weg in das jenseitige Gallien durch die Alpen war, mit diesen fünf Legionen zu gehen er eilt. |
4. |
Dort die Ceutronen und Grajoceler und Caturiger Orten höheren besetzten am Marsch das Heer zu hindern versuchen. |
5. |
In mehreren (nachdem) diese Gefechte geschlagen von Ocelum, das ist der diesseitigen Provinz äußerst, in das Gebiet der Voconter der senseitigen Provinz am Tage siebenten er gelangt, von dort in der Allobroger Gebiet, von den Allobrogern in die Segusiaver das Heer er führt. |
freie Übersetzung
Es wird Caesar gemeldet, daß die Helvetier beabsichtigten, ihren Weg durch das Land der Sequaner und Häduer in das Gebiet der Santonen zu nehmen, die nicht weit entfernt wohnen vom Gebiet der Tolosaten, einem Volksstamm, der (bereits) zur Provinz gehört. |
Verben
renûntiâre
zurückmelden, Bericht erstattenSonstige Wörter und Erklärungen
Zum Gen. Pl. Tolôsâtium (spr. tolôsâ-ti-um) gehört der Nom.Pl. Tolôsâtês die Tolosaten (Toulouse). Merken wir uns, daß Eigennamen auf -âs, -âtis den Gen. Pl. auf -ium bilden. Dasselbe gilt für Eigennamen auf -îs, -îtis, z.B. Samnîtês, Samnîtium.
Santonum = Santonôrum
frûmentârius 3 getreidereich, maximê frûmentârius sehr getreidereich
(maximê bei Adjektiven und Adverbien ist eine Umschreibung des Superlativs)
mûnîtio, ônis f Befestigung
Die Legaten (Legionskommandeure, Generäle) standen dem Feldherrn als Unterfeldherrn zur Seite und waren senatorischen Ranges. Titus Labienus war der einzige Legat, der Caesar im Bürgerkrieg verließ und zu Pompeius überwechselte. Er fiel 45 v.Chr. in der Schlacht von Munda in Spanien.
locus, î m
der Ort bildet den Nom.Pl. loca, z.B. loca superiora die höher gelegenen Orteproelium, iî n
das Gefecht, das Treffen, die Schlacht
Zeile 1
In der ersten Periode hängt von renuntiâtur der a.c.i. Helvetiis esse in animo ab. Was ist bei den Helvetiern im Sinn?, -nun das wird durch den Infinitivsatz per ...facere ausgesagt. Dieser Infinitivsatz ist demnach Subjekt des a.c.i. Wenn wir fragen wer oder was wird gemeldet?, so antworten wir mit der zweifachen Infinitivkonstruktion Helvetiis esse in animo...facere, d.h. aber, daß diese doppelte Infinitivkonstruktion Subjekt zum Hauptverb renuntiatur ist.
Die Periode schließt mit zwei Relativsätzen: qui ... absunt (gehört zu Santonum) und quae ... prôvinciâ (gehört zu Tolosâtium)
Zeile 2
Vom HS: (Caesar) intellegêbat hängt der a.c.i. (id) magnô ... futûrum (esse) ab.
Id sî fieret wenn dies geschähe; sî mit Konj.Impf (bzw. Plqupf.) kennzeichnet den irrealen Bedingungsfall, der Inhalt der Bedingung entspricht nicht der Wirklichkeit.
prôvinciae für die Provinz (wenn etwas von Vorteil -oder von Nachteil- für jemanden ist, steht der Dativus commodi oder incommodi.) Der NS ut ... habêret daß (sie) ... erhielte erklärt, worin die Gefahr für die Provinz besteht. hominês bellicôsôs ist Objekt, fînitimôs ist Prädikatsnomen (als Nachbarn). Zu hominês bellicôsôs gibt es noch die Apposition populî Rômânî inimîcôs Feinde des römischen Volkes.
Auf die Frage wo? stehen Ortsbezeichnungen im bloßen Ablativ (Ablativus loci): locîs patentibus in offenen Gegenden (loca patentia offene, d.h. ebene, Gebiete).
Zeile 3
Hier ist wieder der Gebrauch des historischen Präsens hervorzuheben: contendit er eilt, cônscrîbit er hebt aus, êdûcit er führt heraus. îre contendit er beeilt sich zu kommen,
quâ (viâ) auf dem Weg, wo. Wörtlich: auf dem Weg, wo der nächste Weg in das jenseitige Gallien über die Alpen war, natürlich vereinfachen wir das zu auf dem nächsten Weg ...
magnîs itineribus in Eilmärschen, in starken Tagereisen ist Ablativus instrumenti.
Zeile 4
locîs superiôribus occupâtîs
nachdem die Höhen besetzt worden waren ist Ablativus absolutus. Der Römer liebte die passive Ausdrucksweise über alles; gut deutsch ist jedoch die aktive Sprechweise, die auch wir benutzen wollen.Zeile 5
Wieder benutzt Caesar das Präsens historicum: pervenit, dûcit. Die Hauptstadt der Segusiaver ist Lugdûnum Lyon. In complûribus hîs proeliîs pulsîs ist hîs pulsîs nachdem diese geschlagen worden waren Abl. absolutus. hîs diese ist das Subjekt und pulsîs geschlagen das Prädikat.
complûribus proeliîs in mehreren Gefechten ist Ablativus instrumenti, vgl. Zeile 3: magnîs itineribus.
Lösungen:
Mehrfach haben wir vom jüngeren Plinius gesprochen und auch schon ein wenig von ihm gelesen (12. und 13. Lektion). In seiner Briefsammlung befinden sich vier Briefe, die für die Zeitgeschichte von ganz besonderem Interesse sind: die Briefe 6,16 und 6, 20, sowie die Briefe 10, 96 und 10, 97. (Das zehnte Buch enthält den Schriftwechsel mit Trajan; er wurde nach Plinius' Tod von einem unbekannten Herausgeber veröffentlicht.)
In den beiden Briefen des sechsten Buches schildert er auf Wunsch seines Freundes Tacitus, des Historikers, die Vorgänge beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n.Chr. Bei dieser Naturkatastrophe wurden verschiedene Kleinstädte, u.a. Pompeji, zerstört. Wir werden diese Briefe bei späterer Gelegenheit besprechen.
Heute möchte ich mit Ihnen den Brief 10, 96 lesen, in dem Plinius uns Einblick gibt in das Verhalten und in die Behandlung der frühen Christen in den Provinzen.
Im Jahr 111 n.Chr. wurde Plinius mit der Verwaltung der Provinzen Bithynien und Pontus beauftragt. Als Residenz wählte er Nicaea (heute Isnik) und auch Nicomedia (Ismid), 113 starb er bereits. Der Brief 10, 96 dürfte demnach im Jahr 112 geschrieben worden sein.
(In der 14. Lektion hörten wir, daß auch Catull 57/56 v.Chr. im unerträglich heißen Bithynien, ebenfalls in Nicaea, war. Cicero verwaltete 51/50 v.Chr. die nicht weniger heiße Provinz Kilikien.)
C.Plinius an Kaiser Trajan.
Sollemne est mihi, domine, omnia, de quibus dubito, ad te referre. quis enim potest melius vel cunctationem meam regere vel ignorantiam instruere?
Cognitionibus de Christianis interfui numquam; ideo nescio, quid et quatenus aut puniri soleat aut quaeri. nec mediocriter haesitavi, sitne aliquod discrimen aetatum, an quamlibet teneri nihil a robustioribus differant, detus paenitentiae venia, an ei, qui omnino Christianus fuit, desisse non prosit,nomen ipsum, si flagitiis careat, an flagitia cohaerentia nomini puniantur.
sôlemnis, e = solemnis, e
Ich bin gewohnt, Herr, alles, worüber ich Zweifel hege, dir vorzulegen. Denn wer könnte besser mein Zögern lenken oder meine Unkenntnis belehren
?Interim in iis, qui ad me tamquam Christiani deferebantur, hunc sum secutus modum, interrogavi ipsos, an essent Christiani. confitentes iterum ac tertio interrogavi supplicium minatus;
perseverantes duci iussi. neque enim dubitabam, qualecumque esset, quod faterentur, pertinaciam certe et inflexibilem obstinationem debere puniri, fuerunt alii similis amentiae, quos, quia cives Romani erant, adnotavi in urbem remittendos.
Mox ipso tractatu, ut fieri solet, diffundente se crimine plures species inciderunt.
deferre
anzeigen; côn-fiteor, fessus sum, côn-fitêrî gestehen (onfiteor = Sündenbekenntnis im kath. Gottesdienst) cônfitêns, tis bekennendIn der Zwischenzeit habe ich bei denen, die mir als Christen angezeigt wurden, das folgende Verfahren angewandt. Ich habe sie gefragt, ob sie Christen wären. Falls sie gestanden, habe ich sie unter Androhung von Strafe
(Todesstrafe?) ein zweites und ein drittes Mal gefragt; bleiben sie dabei, befahl ich, sie abzuführen.
Propositus est libellus sine auctore multorum nomina continens. qui negabant esse se Christianos aut fuisse, cum praeeunte me deos appellarent et imagini tuae, quam propter hoc iusseram cum simulacris numinum adferri, ture ac vino supplicarent, praeterea maledicerent Christo, quorum nihil cogi posse dicuntur, qui sunt re vera Christiani, dimittendos esse putavi.
libellus sine auctore (mihi) propositus est
eine Schrift ohne Nennung des Autors wurde (mir) vorgelegtMir wurde eine anonyme Schrift vorgelegt, die zahlreiche Namen enthält. Ich glaubte diejenigen, die leugneten, Christen zu sein oder gewesen zu sein, freilassen zu müssen, wenn sie mir nachsprachen und die Götter anriefen und deinem Bildnis, das ich zu diesem Zweck zusammen mit den Abbildern der Götter hatte herbeibringen lassen, mit Weihrauch und Wein opferten, außerdem Christus verfluchten. Es heißt, daß wahre Christen zu nichts von alldem gezwungen werden können.
Alii ab indice nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse quidem, sed desisse, quidam ante triennium, quidam ante plures annos, non nemo etiam ante viginti.
hi quoque omnes et imaginem tuam deorumque simulacra venerati sunt et Christo maledixerunt.
adfirmabant autem hanc fuisse summam vel culpae suae vel erroris, quod essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo quasi deo dicere secum invicem seque sacramento non in scelus aliquod obstringere, sed ne furta, ne latrocinia, ne adulteria committerent, ne fidem fallerent, ne depositum appellati abnegarent.
nôn nemo
nicht niemand = mancherAndere, die in der Liste genannt wurden, sagten (zunächst), daß sie Christen seien, widerriefen aber bald darauf; sie seien es zwar gewesn, hätten aber davon Abstand genommen, einige vor drei Jahren, einige (schon) vor etlichen Jahren, mancher sogar schon vor zwanzig. Auch diese alle haben dein Bild und die Götterbilder verehrt und verfluchten Christus. Sie versicherten jedoch, daß ihre ganze Schuld oder Irrtum darin bestanden hätte, daß sie sich an einem festgesetzten Tag vor Tagesanbruch zu versammeln pflegten und um Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang zu singen und sich durch Schwur nicht etwa zu einem Verbrechen zu verpflichten, sondern weder Diebstahl, noch Raub oder Ehebruch zu begehen, kein Vertrauen zu täuschen, einen anvertrauten Gegenstand nicht abzuleugnen, wenn sie aufgefordert werden, ihn zurückzugeben.
quibus perâctîs morem sibi discendî fuisse rûrsusque coeundî ad capiendum cibum, prômiscuum tamen et innoxium, quod ipsum facere desisse post edictum meum, quo secundum mandata tua hetaerias esse vetueram.
quo magis necessarium credidi ex duabus ancillis, quae ministrae dicebantur, quid esset veri, et per tormenta quaerere. nihil aliud invênî quam superstitionem pravam, immodicam.
Der Hinweis darauf, daß die Speise, cibus, î m, gewöhnlich (gemischt) und harmlos (unschädlich) gewesen sei, war wohl deswegen angebracht, weil den Christen nachgesagt wurde, sie äßen das Fleisch rituell getöteter Kinder. Es handelte sich bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten um das christliche Liebesmahl, die Agape. Die Speisen selbst wurden oft von vermögenden Christen gestiftet.
quod ipsum (rel. Anschluß) dieses aber ("welchselbiges")
hetaeria, ae f Geheimbund, Vereinigung (Hetärie Geheimbund, z.B. 1814 gegen die Türken.)
vetô, uî, itum, vetâre verbieten (sein Veto -ich verbiete- einlegen),
vetueram 1.Sing.Ind.Plqupf.Akt. ich hatte verboten
Nachdem dies geschehen, sei es bei ihnen üblich gewesen, auseinanderzugehen und erneut zusammenzukommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch einfache und harmlose, das aber hätten sienach meinem Edikt seingelassen, in dem ich nach deiner Anweisung geheime Zusammenschlüsse verboten hatte.
So hielt ich es für besonders wichtig, aus zwei Mägden, die Dienerinnen (Diakonissinnen) genannt werden, auch durch Folter herauszufinden, was wahr sei.
Ich habe nichts anderes erfahren als einen verschrobenen, maßlosen Aberglauben.
Ideô dîlâtâ cognitiône ad consulendum te decurri. visa est enim mihi res digna consultatione, maxime propter periclitantium numerum; multi enim omnis aetatis, omnis ordinis, utriusque sexus etiam, vocantur in periculum et vocabuntur.
neque civitates tantum, sed vicos etiam atque agros superstitionis istius contâgio pervagata est;
quae videtur sistî et corrigî posse. certe satis constat prope iam desolata templa coepisse celebrarî et sacra sollemnia diu intermissa repetî passimque vênîre victimarum carnem, cuius adhuc rarissimus emptor inveniebatur.
ex quo facile est opinarî, quae turba hominum emendarî possit, si sit paenitentiae locus.
ideô
daher, deswegen; dîlâtâ cognitiône (Abl. abs.) nachdem ich die Untersuchung vertagt habe; dêcurrî ich habe mich an dich gewendet. Im Deutschen sagen wir ich wende mich an dich. In Briefen stellt der römische Schreiber sich den Empfänger vor, der den Brief gerade liest. Er benutzt daher nicht das Präsens, das er aus der Sicht des Schreibenden benutzte müßte, sondern das Perfekt.Daher habe ich die Untersuchung vertagt und wende mich an dich, um Rat zu holen. Mir scheint nämlich, daß die Angelegenheit es verdient, beraten zu werden, vor allem wegen der großen Anzahl derer, die Gefahr laufen, angeklagt zu werden; denn viele jeden Alters, jeden Standes, und beiderlei Geschlechts sind jetzt und künftig in Gefahr.
Nicht nur über Städte, sondern auch über Dörfer und das flache Land hat sich die Ansteckung durch diesen Aberglauben ausgebreitet
Das Antwortschreiben des Kaisers Trajan werden wir in der nächsten Lektion lesen.